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KUZ Quartett 2015-1 - Kolumne

Kolumne DAS KULTUR-ÖRTCHEN: Kleines historisches „Klobalisierungs“-Brevier Sind Sie eigentlich schon vorbereitet auf den Welt-Toiletten-Tag am 19. November? Vermutlich nicht. Um den Tag angemessen und mit dem nö- tigen Respekt vor dem nicht immer stillen Örtchen zu begehen, sind gewisse Bildungselemente aus Geschichte, Gegenwart und Zukunft unerlässlich. Aber keine Panik. Es ist noch Zeit. Wir helfen Ihnen. Wie immer ist die Frage wichtig: Wer hat's er- funden, das Wasser-Klosett? Nein, es waren nicht die Engländer – auch wenn sie auf der Insel kürz- lich das 160-jährige Jubiläum des angeblich welt- weit ersten WC gefeiert haben. Na gut, immerhin der Siphon als Geruchsbremse geht auf das Konto der selbsternannten führenden Klo-Nation Euro- pas. Bleibt noch die Schwiegermutter vom alten Fritz, die in Sanssouci nicht mehr aus der Mau- er machen wollte und sich deshalb einen ganz speziellen Thron einbauen ließ. Aber auch sie ist nicht die Erfinderin. Nein, es waren wohl die Su- merer im heutigen Irak – vor etwa 4.000 Jahren. Während sich das Volk damals überall einfach in der Landschaft verewigte (wie heute noch allzu oft üblich), saß die Herrschaft schon auf wohl geformten steinernen Sitzen in geselliger Siebener-Reihe und erleichterte sich munter plaudernd in einen extra angelegten Wasser- lauf. Ein geselliger Treffpunkt und weitgehend schamfreie Zone blieb der Lokus die nächsten Jahrtausende. Archäologen berichten von öffent- lichen Etablissements bei den alten Griechen mit bis zu 44 offenen Sitzen. Und bei den Römern trafen sich die gehobenen Kreise zuweilen auf 60-sitzigen Prachtlatrinen mit Fußbodenheizung und Wasserspülung „zum Geschäft“. Für zusätz- liche Unterhaltung sorgten rezitierende Dich- ter und für das gute Gelingen war eine eigene Schutzgöttin namens Venus Cloacina zuständig. Die Hinterlassenschaft wogte in die berühmte Cloaca Maxima, einen riesigen Fäkalienabfluss. Über die Duftnote solcher Orte kann die Wissen- schaft vom stillen Örtchen heute nur spekulieren. Übrigens: Die Weisheit, Geld stinke nicht, oder wie die alten Lateiner sagen „pecunia non olet“, ist Teil der internationalen Klo-Geschichte und geht auf den als Pinkel-Imperator in Erinnerung gebliebenen Kaiser Vespasian (9 bis 79 n. Chr.) zurück. Auf die Vorhaltungen seines Sohnes hin, dass die von ihm erlassene Urin-Steuer doch wohl arg peinlich sei, schnüffelte er an einer so verein- nahmten Steuer-Münze und befand: „Non olet“ – stinkt nicht. Im Mittelalter war's erst mal vorbei mit der Klo-Hochkultur. Das Geschäft wurde nonchalant in den Straßenecken verrichtet, Pisspötte mit küh- nem Schwung aus den Fenstern auf die Gasse entleert, in den Burgen und Schlössern des Hoch- adels gab's Abtrittswinkel mit einfachem Loch zum drunter liegenden Keller oder nach außen wie Schwalbennester gebaute Abortkästen. Bei ungünstigem Wind beehrte der Abgang schon mal die Mauer oder das darunter liegende Fens- ter, statt sich ungesäumt in den Burggraben zu begeben. Auch am Hofe des französischen Son- nenkönigs ging es hygienisch ziemlich mittelalter- lich zu. Zwar gab es 2.000 pompös ausgestattete Zimmer, aber nur ein fest eingebautes Örtchen. Bei den ausschweifenden Festen entlud sich die feine Gesellschaft einfach in den Schlosspark und selbst bei Empfängen beliebte der König auf einem Kackstuhl sitzend zu regieren und sich gleichzeitig zu erleichtern. Als Vorläufer heutiger WC-Wegelagerei auf deutschen Autobahnraststätten und gleichzeitig Vorbild des Dixi-Klos boten im frühen 19. Jahr- hundert Abtritt-Anbieterinnen gegen Obulus Ei- mer und weit geschnittene Umhänge fürs diskrete Geschäft auf Plätzen und Märkten feil. Das war der erste Schritt zum Rückzug der Notdurft ins Verschämte und der Vorbote einer geschäftigen Revolution. Die Einzel-Toilette mit Wasserspülung hielt mit der Jahrhundertwende Einzug in die Häuser. Seitdem stagniert bei uns weitgehend die Klo-Kultur. In japanischen Haushalten hat dagegen die Zukunft schon Gestalt angenom- men. Das Klo wird zum Computer, passt die stets desinfizierte und beheizte Brille an jeden Hintern an, intoniert die Lieblingsmusik, registriert den Konsumententyp, spielt die passende Werbung ein und erlaubt den sofortigen Einkauf, duscht und fönt den Intimbereich gemäß individueller Chipscannung beim Betreten, misst Zucker- und Harnsäurewert, übermittelt sie dem Hausarzt, errechnet den Heizwert unserer gerade abgege- benen Biomasse und schreibt den Umweltbeitrag unserem CO2 -Konto gut. Was für ein Fortschritt! Doch, wie würde Loriot sagen: „Ich will doch ein- fach nur hier sitzen.“

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